Merlefaktor und Taubheit bei Hunden
© Willy Neumann, Heike Frese
(Chirurgische Veterinärklinik der Universität Giessen)
Pigmentierungsanomalien
Bei vielen Tierarten und beim Menschen
treten Pigmentierungsanomalien auf, die sich in zwei Gruppen einteilen
lassen (Wiesner+Willer, 1983).
A. Gestörte Melaninsynthese:
Sie kann entweder auf einen direkten
Enzymdefekt bei der Melaninsynthese zurückzuführen sein (Albinismus -
verminderte/fehlende Tyrosinaseaktivität) oder durch eine Hemmung der
Melaninsynthese durch andere Stoffwechselstörungen entstehen [z.B.
hemmender Effekt des Phenylalaninspiegels auf die Melaninsynthese bei
Phenylketonurie (Roberts, 1967)]. Diese Pigmentierungsanomalien sind
charakterisiert durch das Vorkommen amelanotischer Melanozyten (clear
cells), die bis auf ihre Unfähigkeit Melanin zu synthetisieren in jeder
Hinsicht normale Melanozyten darstellen (Billingham, 1960).
B. Hemmungs- , Struktur- oder Funktionsdefekte
der Melanozyten:
Sie können sich in Störungen der
Migration der Melanoblasten aus der Neuralleiste, der Proliferation oder
Zellkoloniebildung sowie der zytokrinen Prozesse, der Membranbildung,
des Immunkomplexes usw. manifestieren (Wiesner+Willer, 1983). Betroffene
Tiere weisen unterschiedlich große und unterschiedlich verteilte
unpigmentierte Körperegionen auf (Fell, Iris ,Auge, Stria vaskularis) in
denen sich keine Melanozyten nachweisen lassen. (Billingham, 1960).
Während für Enzymdefekte meist nur
Schädigungen eines Genortes verantwortlich sind und somit die Folgen
einer genetischen Grundlage der Pigmentierungsanomalien überschaubar
bleibt, gibt es für die Ausprägung der Fellfarbe viele verschiedene
Genorte, welche die Art (Eumelanin/Phäomelanin), Größe, Form, Zahl und
Verteilung der produzierten Pigmentgranula determinieren und sich
gegenseitig beeinflussen können. Dadurch wird das Verständnis für die
Entstehung verschiedener Farbmuster und Scheckungen bei Tieren noch
erschwert (Billingham, 1960).
Merlefaktor
Einen solchen Genort stellt der
Merlefaktor dar (merle: wahrscheinlich aus marbled/marled = marmoriert,
Wegner, 1984). Er verursacht eine charakteristische Fellscheckung mit
Depigmentierung und irregulärer Pigmentverteilung in Haar, Haut und Auge
(Akcan, 1983) und kommt bei vielen unserer Hunderassen (Tigerdoggen,
Tigerteckeln, Blue-Merle-Collies, Corgis, einigen Foxhoundschlägen,
Dunkerhunden u.a.) vor (Akcan,1985). Wegen der interessanten
Fellzeichnung und zum Erhalt des Genmaterials wird bei verschiedenen
Zuchtverbänden mit diesem Gen gezüchtet und sind Rassestandards für die
Merle-Färbungen formuliert worden. Zum Beispiel sollte der perfekte
Blue-merle Collie von silbergrauer Farbe sein, schwarz gesprenkelt, aber
niemals großflächig schwarz gefleckt; Halskrause, Brust, Pfoten, Beine
und Schwanzspitze können weiß sein, ebenso die Blesse. Der Blue-Merle
Collie sollte braune Abzeichen aufweisen, wie sie vom Tricolour erwartet
werden, und ein oder beide Augen können blau sein. Bei den Merle-Doggen
unterscheidet man schwarz-weiß gefleckte Tiere von den Grautigern
(grau-weiß), den Porzelantigern (blaue, gelbe oder gestromte Fleckung)
und den Weißtigern (vorwiegend weiß), von denen allerdings nur die
schwarz-weiß gefleckten Tiere erwünscht sind.
Genetik
Bezüglich der genetischen Grundlage
wird der Merlefaktor im allgemeinen als unvollkommen dominanter
Erbfaktor mit Großgenwirkung und breiter phänotypischer Variabilität
bezeichnet (Wegner, 1975). Ganz im Sinne des Mendelschen
Genverständnisses wurde für den "M"-Locus die Existenz zweier Allele
postuliert, von denen das dominante "M" (Mm/MM) die Merlescheckung und
das rezessive "m" die Normalzeichnung (mm) steuern (Jödicke, 1989).
Mangels exakter genetischer Nachweismethoden werden die Genotypen der
Tiere anhand des Stammbaums und in Abhängigkeit vom Aufhellungsgrad der
Haut und Haare (in Prozent der Körperoberfläche) festgelegt. Die
Aufhellung von Haut und Haaren beträgt bei Homozygoten Tieren 50% und
mehr, bei heterozygoten Tieren weniger als 50% der Körperoberfläche (Akcan,
1985; Einteilung nach Comberg, 1972).
Die Verläßlichkeit dieser Einteilung und
die Klassifizierung des Merlfaktors als dominant wurde von Jödicke
(1990) in Frage gestellt, nachdem sich phänotypisch merlefreie Tiere als
zweifelsfrei heterozygote Merkmalsträger erwiesen hatten. Die übliche
Einstufung des Merlegens als dominanten Faktor mit unvollständiger
Penetranz bezeichnet er als Zugeständnis an die Tatsache, daß der
Erbgang bis heute noch nicht vollständig verstanden wird. In diesem
Zusammenhang verweist er auf ein Modell von Pape (1987), nach dem der
Faktor durch alternierende Mutationssprünge ein variables Mosaik zweier
verschiedener Pigmentierungsanlagen verursacht, so daß die Färbung
unregelmäßig zwischen vollständig schwarz und vollständig weiß, alle
Übergangsstufen eingeschlossen, hin und her pendeln und unter Umständen
auch die Phänotypen der reinen Phasen einschließen kann. Bei diesem
Modell wird der Merlefaktor als Mutation des Operators bezeichnet, einem
Genabschnitt, der dem eigentlichen Strukturgen als Kontrollort
vorgelagert ist. Die auf dem Strukturgen angesiedelten Farballele müssen
daher zum Merlefaktor keine allele Beziehung aufweisen. Jödicke wertet
das Modell als Möglichkeit die unvollständige Penetranz des Merlefaktors
zu erklären, ohne seine Dominanz in Frage zu stellen. In eine ähnliche
Richtung weisen die Beobachtungen von Sponenberg (1984), der aufgrund
der erbstabil normalgefärbten Nachkommen einer nachweislich homozygoten
Merlehündin die These von Whitney (1982) bestätigt sieht, daß die
Ausprägung der Merlefärbung von einem transponierbaren DNA-Abschnitt
kontrolliert wird.
Der Merlefaktor als Defektgen
Der Grund, warum der Merlefaktor zum
Streitpunkt zwischen Erbgenetikern und Züchtern geworden ist, liegt in
der Tatsache begründet, daß bei homozygoten Merkmalsträgern
unterschiedliche kongenitale Mißbildungen auftreten können. Diese
homozygoten Weißtiger können, außer der überwiegend weißen Fellfarbe, in
unterschiedlicher Ausprägung und Häufung, Mißbildungen des Auges und des
Innenohrs aufweisen, die bis hin zur völligen Taubblindheit gehen können
( Ford, 1955, Mitchell, 1935, Osborne, 1976). Derartige Tiere können in
der Entwicklung hinter Wurfgeschwistern zurückbleiben, eine verminderte
Vitalität zeigen und unter Umständen vor Erreichen der Geschlechtsreife
sterben (Roberts, 1967). Die Gefahr des Auftretens homozygoter
Merkmalsträger besteht bei der Anpaarung zweier heterozygoter
Elterntiere. Dieses Risiko wurde von einigen Züchtern in Kauf genommen,
da gesunde homozygote Welpen aus solchen Paarungen bei der Kreuzung mit
Nicht-Merkmalsträgern Nachkommen mit außergewöhnlich schöner
Farbzeichnung erzeugen sollten.
Über das Auftreten von Mißbildungen bei
heterozygoten Tieren gibt es in der Literatur wenig Hinweise (Ford,
1955, Coulter, 1982). Ob und wenn ja in welcher Art, Häufigkeit und
Ausprägung Mißbildungen in Merlezuchten auftreten und in welchem
Schweregrad die unterschiedlichen Genotypen davon betroffen sind, wurde
von Wegner (1977) anhand einer Zuchtgruppe von Merleteckeln untersucht.
Die Tiere dieser Zuchtgruppen zeigten
Augenanomalien ( Iris bicolor, blaue Iris, fehlendes Tapetum lucidum,
Retinapigmentarmut, Papillenanomalie, Mikrophthalmus, Mikrokorie usw. (Dausch
1977+1978), Gehirnmißbildungen (Polygyrie, Asymetrie, Pachygyrie,
Windungsheterotopien (Akcan, 1985), Hypoplasien und abnorme Projektionen
im Bereich der Sehbahnen (Akcan 1983), erhöhten Augeninnendruch (Klinckmann,
1987), Beeinträchtigungen der Hörschwelle (Reetz, 1977), einen erhöhten
Anteil mißgebildeter Spermien (Treu, 1976) und Störungen des
Gleichgewichtssinnes (Wegner, 1977). Die meisten und schwerwiegendsten
Befunde wurden an den homozygoten Weißtigern erhoben, heterozygote Tiere
zeigten weniger und leichtere Anomalien und Nicht- Merkmalsträger waren
nicht, oder nur in Ausnahmefällen betroffen. Diese Befunde deutet Wegner
als Ausdruck einer Gen-Dosiswirkung beim Merlefaktor (1978) und belegt
mit dieser Untersuchung seine These, daß auch homozygote Merleträger
Mißbildungen der Sinnesorgane und sonstige Einschränkungen aufweisen
können. Da besagte Zuchtgruppe (44 Tiere) aus einem homozygoten,
defekten Weißtigerrüden und einem heterozygoten Merlerüden über Kreuzung
mit normalgefärbten Hündinnen und Rückkreuzung der "F1 Töchter" mit
ihren Vätern entstand, kamen Zweifel an der Reproduzierbarkeit der
Ergebnisse im Hinblick auf die Gesamtpopulation auf. Zum einen stammen
sämtliche Merlefaktoren in dieser Zuchtgruppe von nur zwei Vatertieren
ab, zum anderen ist die Gruppe nicht besonders groß und zum dritten ist
der Inzuchtkoeffiziert innerhalb der Gruppe erheblich höher als in der
Gesamtpopulation. Die mögliche Überlagerung der Ergebnisse durch
Inzuchtefekte kann auch von den Forschern selbst nicht ganz von der Hand
gewiesen werden (Klinckmann 1987). Eine Klärung wäre nur über
Untersuchungen an einer ausreichend großen Zahl zufällig ausgewählter
Tiere unterschiedlichen Alters möglich. Die Übertragbarkeit der an
Teckeln erhobenen Befunde auf andere Rassen ließe sich durch
gleichartige Versuche in vergleichbar großen Gruppen unterschiedlicher
Rassen überprüfen.
Aus diesem Grund werden an der
Universitätsklinik Gießen in Zusammenarbeit mit verschiedenen
Zuchtverbänden elektrophysiologische Untersuchungen an Merlehunden
durchgeführt.
AEP / Akustisch
evozierte Potentiale (Auditory evoked potentials)
Akustisch evozierte Potentiale (AEP)
stellen kortikale und subkortikale elektrische Spannungsdifferenzen dar,
die in zeitlicher Korrelation zu externen akustischen Reizen stehen und
sich durch elektronische Signalverarbeitung aus dem EEG herausmitteln
lassen. Ihre Entstehung wird der Cochlea (rezeptiver Bereich), dem
N.acusticus (neuraler Abschnitt) und zentralnervösen Strukturen der
Hörbahn, wie Hirnstamm, Zwischenhirn, Hörstrahlung und Hirnrinde
zugeschrieben. Nach einem akustischen Reiz lassen sich neben den
präsynaptischen Summations- und Mikrophonpotentialen im wesentlichen 15
postsynaptische Komponenten auslösen. Entsprechend der Latenz ihres
Auftretens wurden sie von Picton et al. (1974) zu Gruppen mit frühen,
mittleren und späten Anteilen zugeordnet. Die präsynaptischen
Potentialen entstehen während der Reizdarbietung (Mikrophonpotentiale an
der Basilarmembran und das Summationspotential an den Haarzellen).
Postsynaptisch folgen die frühen Potentiale: Summenaktionspotential und
Latenz I (N.acusticus), Latenz II (Medulla), Latenz III ( caudale pons),
Latenz IV (rostrale pons), Latenz V (Mittelhirn), Latenz VI (Corpus
geniculatum, Latenz VII (Hörstrahlung) und die Frequenzfolgeantwort (FFA/
Hirnstamm), von denen alledings nur das Summenaktionspotential und die
Latenzen I-V topodiagnostische Bedeutung haben. Es schließen sich die
mittleren (Bereich zwischen Mittelhirn und Cortex) und die späten
Potentiale (Cortex und cortikale Projektionsfelder) an.
Akustisch evozierte Potentiale eignen
sich zur Lokalisation von Schädigungen im rezeptiven Bereich, am
Hörnerven und im Hirnstamm. Werden akustisch evozierte Potentiale bei
verschiedenen Lautstärken abgeleitet, läßt sich anhand von Kurvenverlauf
und Amplitudenhöhen auch die Hörschwelle bestimmen. (Maurer, 1982).
Untersuchungsablauf
Die zur Untersuchung vorgestellten Hunde
werden zuerst über die Täto-Nummer identifiziert. Danach werden die
Daten anhand der Ahnentafeln, von denen jeweils eine Kopie beim
Untersucher verbleibt, registriert. Im Anschluß daran werden Fotos des
Exterieurs, der Iris und, nach Weitstellung der Pupille mit einem
Mydriatikum, auch des Augenhintegrundes (Netzhaut) beider Seiten
angefertigt. Nach Ermittlung des Gewichtes werden die Hunde in Narkose
gelegt. In Narkose wird dann eine Elektroretinographie (ERG,
Netzhautpotentiale) durchgeführt und die akustische evozierten
Potentiale abgeleitet. Sollte sich herausstellen, daß der Hund
beiderseits taub oder stark hörgeschädigt ist, wird zusaätzlich einige
Tage später noch ein Schwimmtest durchgeführt.
AEP Ableitung
Mittels eines Generators werden
mischfrequente Klicksignale unterschiedlicher Lautstärken erzeugt. Diese
Signale werden über Kopfhöhrer, deren Lautsprecher (ohne Bügel) direkt
in den äusseren Gehörgang eingebracht werden, auf das Trommelfell
geleitet. Die entstehenden Potentiale werden über 3 Platin -
Nadelelektroden abgeleitet, per Computer berechnet und als Meßkurve auf
einem Monitor dargestellt. Jeweils eine Elektrode wird direkt über dem
Mastoid in die Haut eingestochen, die Referenzelektrode wird auf dem
Nasenrücken plaziert. Vor Meßbeginn wird der korrekte Sitz der
Elektroden über Impendanzmessung kontrolliert und gegebenenfalls
korrigiert. Die anschließenden Messungen werden für das rechte und linke
Ohr getrennt vorgenommen, wobei für jedes Ohr mindestens 5 Meßspuren
unterschiedlicher Lautstärke (80, 60, 50, 40, und 30 dB) erstellt, per
Hand ausgewertet und zur Dokumentation ausgedruckt werden.
Nachdruck und Übernahme, auch auszugsweise, nur
mit ausdrücklicher Genehmigung der Autoren ©
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Mit herzlichen Dank an:
www.tiermedizin.de
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